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Freitagskommentar

„Politik macht nichts, um Probleme zu lösen ...“
Wo bleiben die Jungen und Männer in der Gleichstellungspolitik?

Zitat eines 16-jährigen Teilnehmers der Jugendstudie 2024, einer repräsentativen Befragung von etwa 2000 14-29Jährigen. Diese sind offenbar auch nach der Corona-Pandemie weiterhin in einem Krisenmodus und leiden angesichts der vielen gesellschaftlichen Krisen und unsicheren Weltlage unter Zweifeln, Verunsicherung, Einsamkeit und psychischen Belastungen. 11% geben an, wegen psychischer Störungen in Behandlung zu sein.

Laut der aktuellen Jugendstudie schätzen junge Menschen ihren eigenen Einfluss nicht nur auf Krisen und die gesellschaftliche Zukunft, sondern auch in Bezug auf die eigenen Lebensbedingungen als eher gering ein. Deshalb ihre Forderung, dass von Politik, Wirtschaft und älteren Generationen mehr strukturelle Unterstützung geleistet werden sollte, zumal das Bildungssystem hier nicht weiterhelfe.

Apropos Bildung

Das Bildungsniveau hat sich in den letzten Jahren in Deutschland dramatisch verschlechtert (Bildungsmonitor 2023, OECD Bildungsbericht 2024). Bildung ist unbestritten auch ein zentraler Faktor für Gesundheit. Und zwar gilt dies nachweislich noch stärker für Jungen als für Mädchen. Jungen schneiden in fast allen schulischen Leistungsbereichen und auch bei der Berufsausbildung schlechter ab, sie sind häufiger Schulabbrecher, schaffen häufiger keinen weiterführenden Schulabschluss, machen seltener Abitur. Bei der beruflichen Karriere zwar können sie zwar aufholen, sind aber auch häufiger diejenigen, die arbeitslos werden. Die Schere zwischen schlechter und guter Bildung geht bei jungen Männern zunehmend auseinander. Das hat Auswirkungen auf die Gesundheit, denn: Je höher die formale Bildung, desto gesünder der Lebensstil und desto besser die objektive Gesundheit.

Warum ist das so?

Es geht nicht darum, den Jungen Vorwürfe zu machen, sondern sie besser zu verstehen. Da sind zunächst einmal biologische (genetische und hormonelle Faktoren), die eine ganze Reihe von Nachteilen für Jungen und junge Männer mit sich bringen, die im weiteren Verlauf durch ungünstige Umweltfaktoren und Verhaltensmuster verstärkt werden können: beginnend mit der höheren Säuglingssterblichkeit, der späteren Sprachentwicklung, kindlichen Verhaltensauffälligkeiten über die höhere Unfallneigung, häufiger ADHS, Störungen im Autismus-Spektrum, Übergewicht bis hin zur höheren Aggressions- und Gewaltneigung. In der Schule können sich Jungen schlechter konzentrieren als Mädchen und würden lieber raufen statt lernen, Impulse, die im Vergleich zu Mädchen schlechter unterdrückt werden können: eine Folge der 2 Jahre späteren Hirnreifung (präfrontaler Kortex) und Wirkung von Testosteron. Hinzu kommen vor allem medienvermittelte Vorstellungen vom Mann als Actionheld. Logisch, dass Lernen uncool ist, man(n) will ja auf keinen Fall als Streber gelten. Im weiteren Verlauf wird das Männlichkeitsbild zwar differenzierter, aber Macht und Dominanz sind weiterhin ein Thema bei jungen Männern. Nicht zuletzt werden diese Tendenzen durch Defizite im Bildungssystem (wie Lehrermangel, fehlende Finanzierung, bessere Förderung schon im Vorschulalter etc.) verstärkt.

Nachts lieber einem Bären als einem Mann begegnen

Die zunehmende Bildungsschere zwischen den Geschlechtern kann zu einer Entwertung junger Männer durch junge Frauen beitragen. Ein beliebtes Narrativ in TikTok ist zurzeit eines, dass das Stereotyp des Mannes als Gewalttäter weiter befestigt: auf die Frage, ob Frau nachts im Wald lieber einem Mann oder einem Bären begegnen würde, heißt die Antwort häufig: lieber einem Bären (Der Spiegel Nr. 38, 14.09.2024). Die Autorin kommt zu dem Schluss: „Solange es Männer gibt, gibt es keine sicheren Orte. Nirgendwo.“

Vier von fünf Männern werden von Frauen auf Dating-Plattformen als unattraktiv eingestuft. Auch die Mehrzahl älterer Frauen (57%) wünscht sich Männer ganz unverbindlich nur noch ambulant, nicht stationär (rheingold-marktforschung 2024).

Mangelnde Bildung kann für junge Männer weiterhin die Chancen auf eine zufriedenstellende berufliche Position erschweren und damit die Chance auf Partnerschaft und Familiengründung. Besonders hart trifft es junge Männer mit geringer Bildung in Ostdeutschland, wo die gut ausgebildeten jungen Frauen in den Westen abgewandert sind. Die Folgen sind bekannt: Einsamkeit, Substanzabhängigkeit, Depression, höhere Suizidrate, Aggression und Gewalt, politische Radikalisierung.

Geschlechtergerechtigkeit? Junge Männer fühlen sich bedroht und diskriminiert

Mit Müh und Not hat das Gesundheitsministerium angesichts des seit Jahrzehnten unveränderten Gender-Gaps bei den Suizidraten (bei Männern mindestens 3mal höher als bei Frauen) in diesem Jahr ein Suizidpräventionsprogramm auf den Weg gebracht, das vornehmlich die älteren Männer als Hochrisikogruppe in den Blick nimmt.

Ähnliches sollte auch in der Gleichstellungspolitik passieren, die sich weitgehend auf Frauenfragen fokussiert und dabei die Belange von Jungen und Männern vergessen hat. Vielmehr wird betont, dass Männer für den weiteren Fortschritt der Frauengleichstellung unverzichtbar sind (was ja an sich nicht falsch ist).

Zwar liegt ein Dossier des Bundesministeriums zur Lage von Jungen und Männern vor, in dem wichtige Probleme analysiert werden, aber insgesamt scheint wenig politisches Interesse an der Behebung der Schwachstellen zu bestehen, die ja nicht neu sind. Gerade in Schule und Ausbildung brauchen Jungen Förderprogramme unter Berücksichtigung ihrer sozialen Herkunft, die weitreichende Effekte auf Denkstil, Lebensqualität und Gesundheit hätten. Stattdessen überwiegen Förderprogramme für Mädchen, die ohnehin die Jungen bildungsmäßig schon längst abgehängt haben. Auch Jungen und Männer haben spezifische Anliegen, wobei die meisten nicht mit Privilegien ausgestattet sind. Ein Blick auf männliche Gesundheit und vorzeitliche Sterblichkeit, auf Vereinbarkeitsprobleme von Beruf und Vaterrolle, auf Probleme am Arbeitsplatz oder auf Vereinsamung im Alter zeigt den vielfältigen politischen Handlungsbedarf auf.

Was denken die Männer?

Die meisten Männer finden Gleichstellung richtig, sind aber kritisch, was die aktuelle Gleichstellungspolitik angeht (Wippermann 2023).
Befragungsdaten zeigen, dass aus männlicher Sicht die Gleichstellung von Frauen weitgehend erreicht ist (60% vs. 38%). Fast jeder zweite Mann fühlt sich sogar dadurch diskriminiert (45%), die jüngeren noch stärker als die älteren (IPSOS Global Advisor Studie „International Women´s Day 2024“). Gerne wird dafür die Angst der Männer vor dem Verlust traditioneller Privilegien verantwortlich gemacht. Das mag in Einzelfällen zutreffen, verschleiert aber den Blick auf die Frage, wie es Männern wirklich geht. Das sollte die Politik eigentlich interessieren.


Prof. Dr. Anne Maria Möller-Leimkühler

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